Trio mit Tiger (Marianne Ludes)

Es gibt diese Bücher, zu denen hätte man nie selbst hingefunden, nie selbst gegriffen. Dann hört ihr jemandem zu, wie er davon spricht und Zack, Wunschzettel. Kennt Ihr das auch? In meinem und diesem konkreten Fall, war es nicht irgendjemand dem ich zugehört habe, es war die Autorin selbst. Während einer Verschnaufpause auf der Frankfurter Buchmesse in diesem Jahr, am Rand der ARD Bühne, wurde sie interviewt von Denis Scheck zu eben diesem ihrem Roman und ich war bereits nach den ersten Sätzen „on fire„. Kunst in der Literatur finde ich persé immer spannend und wenn es darum geht Personen dem Vergessen zu entreissen, dann bin ich erst recht ganz Ohr. Bekannt dürfte Max Carl Friedrich Beckmann, wie er mit vollem Namen hieß, im Kreis Kunstbegeisterter auch über seinen Tod hinaus noch sein, aber ist seine Ehefrau das auch?

Der Maler, Grafiker und Bildhauer Beckmann gilt bis heute als einer der bedeutendsten bildenden Künstler der Klassischen Moderne des 20. Jahrhunderts. Das Frankfurter Städel kann man inzwischen auch digital besuchen und dort habe ich auf den Spuren Max Beckmanns einen Spaziergang unternommen. Zwischen 1915 und 1933 malte Beckmann in Frankfurt eine Reihe von Stadtansichten. Um Euch eine Idee seines Schaffens zu geben, füge ich einmal dieses Beispiel ein. Es ist das erste Gemälde dieser Stadtansichtenreihe.

Quelle: Städel Museum Frankfurt am Main

Wie viele seiner Künstlerkolleginnen und Kollegen floh, Beckmann, gemeinsam mit seiner Frau, vor den Nationalsozialisten. Man brandmarkte ihn, in einer Ausstellung mit „entarter Kunst“ wurden 1937 auch seine Bilder gezeigt. 630 seiner Bilder wurden beschlagnahmt und man erteilte ihm Mal-und Ausstellungsverbot. Zwei Tage vor Eröffnung dieser diffamierenden Ausstellung in München emigrierte Beckmann und verbrachte Jahre des Exils in Amsterdam. Diese Zeit, beginnend mit dem Dezember 1941, hat sich Marianne Ludes herausgepickt, sie gründet ihren Roman, übrigens den ersten überhaupt, den es über das Ehepaar Beckmann gibt, auf bislang unveröffentlichten Tagebüchern, die sie aus dem Nachlass der Beckmanns selbst einsehen konnte. Ist das nicht grandios? Solche Tagebücher lesen zu dürfen? Die Chuzpe zu haben überhaupt danach zu fragen? So arbeitet sie auch in ihrem Roman mit Tagebucheinträgen, was ich großartig authentisch fand.

Trio mit Tiger von Marianne Ludes

Im Dezember 1941, rund vier Jahre lebten die Beckmanns jetzt im Exil in Amsterdam, wird ein Besucher, der sich brieflich anmeldet, ihrem Leben eine entscheidende Wende geben. Der Besucher gibt vor, man kenne sich aus Berlin, wo man sich 1937 begegnet sei. Welch Ironie! Als Dr. Erhard Göpel, Kunsthistoriker aus Leipzig, im Auftrag der Nationalsozialisten in Amsterdam auftaucht und zu allem bereit zu sein scheint, auch zu Illegalem, um Max Beckmann zu helfen seine Kunst zu retten, kann ich kaum glauben was ich da lese. Wie muss das erst für Beckmanns gewesen sein? Konnten sie diesem Mann vertrauen oder war er der Wolf im Schafspelz?

Nach Holland abkommandiert, um Gemälde für den Führer anzukaufen, sei er ein glühender Verehrer Beckmanns. Schon immer. Gewesen. Mathilde Beckmann traute diesem Dr. Göpel nicht, aber Max, war sofort angetan von diesem Fremden. Zeigte ihm alles. Alles was er gemalt hatte. Ließ ihn in sein Allerheiligstes. In sein Atelier …

Marianne Ludes, studierte Wirtschaftswissenschaften, gründete zusammen mit ihrem Mann ein großes Architekturbüro und 2023 die gemeinnützige Stiftung Ludes, sie lebt in Potsdam, engagiert sich im kulturellen Bereich u.a. für das Literatur Festival Potsdam. Trio mit Tiger ist ihr zweiter Roman. Ich darf mich bei ihrem Verlag C. Bertelsmann für dieses Rezensionsexemplar bedanken.

Zentrale Figuren ihrer Geschichte sind Dr. Erhard Göpel, den Ludes auf einem eigenen Erzählast agieren lässt, der untrennbar mit dem der Beckmanns verbunden ist und Mathilde Kaulbach, Sängerin und Violinistin, geboren 1904, Kosename Quappi. Sie heiratete Max Beckmann 1925. Wurde mit einundzwanzig Jahren seine zweite Ehefrau und folgte ihm 1937 ins Exil nach Amsterdam und 1947 in die USA, wo sie bis zu ihrem Tod 1986 in New York City lebte. Nach Beckmanns Tod 1950 verwaltete die von ihrem Mann vielfach porträtierte Mathilde seinen Nachlass.

Quappi, die Tochter wohlhabender Eltern, liebte den etliche Jahre älteren Beckmann und er sie. Diese Geschichte ist deshalb auch eine ihrer Liebe, ohne Kitsch und Pathos und es ist ebenso die Geschichte einer mehr als ungewöhnlichen Freundschaft und die eines unfassbaren Kunstraubes.

Wie alles beginnt: Marianne Ludes erzählt auf einer zweiten Erzählebene, auf dem gleichen Zeitstrahl, von einer Reise des Dr. Göpel nach Paris. Schmuggelt er da tatsächlich Bilder von Beckmann? Er wird hoch genommen, kommt davon. Wird konfrontiert. Mit Schicksalen, die ihm zunehmend an die Nieren gehen. Kommt ins Handeln, will nicht nur Kunst, sondern Leben retten und gerät zwischen die Räder. Aber zunächst eine Atempause. Wir erleben ein Paris voller Unbesorgtheit und Schönheit inmitten all dieser Schrecken. 

„Wenn er nun vierzig, fünfzig Personen rettete, was machte das für einen Unterschied? War er dann gut? Was überhaupt war Güte? Konnte man gut sein, wenn nichts ringsum gut war? Ab wann zählte Handeln als Güte? Ging es um eine Zahl? Gab es also einen Haufen der Güte? Wie sah es der Gerettete? Und wie der Verlorene?“ Textzitat Marianne Ludes

In der Nacht vom 9. auf den 10. November gedachten wir der Reichkristallnacht 1938. Die Beckmanns erlebten die Verschleppung von Freunden, Max selbst erhielt mit sechzig Jahren im Exil noch einen Musterungsbescheid und Erhard Göpel versucht alles diesen abzuwenden, versucht jüdische Restauratoren und ihre Familien vor der Deportation zu bewahren …

Die vielleicht bedeutendste, millionenschwere Kunstsammlung der niederländischen Malerei, die des jüdischen Kaufmanns Adolphe Schloss und seiner Erben, die 1943 geraubt, beschlagnahmt und mit rund 260 Gemälden dem Führermuseum in Linz einverleibt wurde, setzt Marianne Ludes geschickt ein. Gründet ihr Erzählen insgesamt auf historisch belegten Personen, ergänzt sie Originalzitate und fiktive Figuren, füllt auf mit ihrer Fantasie. Wo die Grenzen zwischen Wahrzeit und Fiktion verlaufen, stellt sie in ihrem Nachwort klar und sie schließt mit einem Epilog, der ein bestimmtes Gemälde thematisiert, das ich mir jetzt unbedingt einmal im Original anschauen will: Max Beckmanns Der Traum von Monte Carlo hängt in der Staatsgalerie in Stuttgart.

Ludes versteht es 448 pralle Seiten lang mit einem Detailreichtum zu unterhalten, dass mir keine Silbe lang langweilig war. Sprachlich auf dem Punkt, mit dem richtigen Anteil an wörtlicher Rede, fliegen ihren Figuren und mir auch schon mal die Sätze um die Ohren, so packte sie mich von der ersten Seite an.

Rasch wuchs auch sie mir ans Herz diese Quappi, die Mathilde Beckmann, sie war es, die es ihrem Max ermöglichte zu Wirken. Zu Scheinen. Das er sie teils behandelt hat, wie er sie behandelt hat, ist eine Affenschande. Sie verzieh ihm beständig, weil ihr seine Not so nah war. Sie konnte ihn und auch seine Bilder lesen, jedes einzelne und besonders seine Selbstporträits. Erkannte darin was andere nicht einmal erahnten. Seine Zerissenheit. Sein Vermissen. Vielleicht war das der Grund für seine zeitweilige Härte ihr gegenüber?

Ohne Reue ihr eigenes Talent als Geigerin hintenanzustellen, ohne Bitterkeit, war sie da für ihn. Nahm sich zurück. Dann wieder tat sie genau das nicht. Bot ihm die Stirn, nahm jeden Raum ein, den sie betrat. Erhielt sich eine rätselhafte Präsenz, trotz Magerkeit, Schlaflosigkeit, Kummer und ständigem nervlich bedingtem Fieber.

Er liest sich wie der Blick durch ein Schlüsselloch auf ein gelebtes Leben und das Gefühl Zeugin all dessen zu werden, was geschieht bannte mich. Wie mich Ludes unter ihre Figuren stellt, ich schaute mich um, bin mit ihnen unterwegs, staune, verstehe und fühle mit, das hat mir gefallen. Sie macht die Beckmanns, diesen Dr. Göpel nahbar, lässt ihre Protagonisten schillern in einer Zeit, die mit ihrer Grausamkeit alles wie mit Asche bedeckt.

Wir dürfen nicht vergessen. Was einzelne, nach uneingeschränkter Macht Strebende zu erreichen vermögen. Wenn Unglauben und Leugnung, nicht nur Zustimmung dies ermöglichen. Das Zulassen, das Querdenker und Kreative verstummen, ist der Einstieg in den Ausstieg. Das zeigt dieser Roman, neben aller Unterhaltsamkeit deutlich auf. Mir hat diese Mischung sehr gefallen und der Ton, den Marianne Ludes anschlägt, macht ihn zugänglich und wunderbar lesbar. Ein ideales Weihnachtsgeschenk, nicht nur für Kunstbegeisterte!

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