Der Stein fällt, wenn ich sterbe (Joe Wilkins)

An eine meiner Lieblingsserien, <Yellowstone> von und mit Kevin Costner in der Hauptrolle als Familienpatriarch, der sein Land, seine Rinder-und Pferdezucht, seine Ranch, mit allen Mitteln zu halten sucht, hat mich dieser Roman erinnert und er musste mit, als ich ihn im Buchhandel entdeckt habe. Hielt ich es bei Costner noch für eine gut gemachte dramaturgische Übertreibung, das seine Helden das Recht in die eigene Hand nehmen und das der Colt im ehemals Wilden Westen noch immer locker sitzt, stolperte ich beim Lesen jetzt erneut genau darüber. Scheint also was dran zu sein, denn hier schreibt jemand, der seinen Roman dort verortet, wo er aufgewachsen ist und er nimmt kein Blatt vor den Mund …

Der Stein fällt, wenn ich sterbe von Joe Wilkins – übersetzt aus dem Amerikanischen Englisch von Irma Wehrli für den Lenos Verlag Basel

Da standen sie am Rand von Zeit und Ferne, als Nachkommen und Erben – und der Wind bewarf sie mit Staub, dessen Körnchen sich in ihren Augenwinkeln sammelten.” *Textzitat Joe Wilkins

Worum geht es also in Der Stein fällt wenn ich sterbe?

Um Trailer und Salzcracker mit Margarine. Fallensteller und Abfallgruben. Um ein Kind das nicht spricht und einen Mähdreschprofi.

Es ist die Geschichte von Wendell Newman und seinem kleinen Cousin Rowdy, sieben, der traumatisiert und stumm bei ihm zur Pflege landet. Wendells Mutter war erst kürzlich verstorben und er damit jetzt der einzige Verwandte des Kleinen.

Es ist auch die Geschichte von Maddy und ihrer Mum Gillian, Lehrerin, die dem Alkohol viel zu viel zuspricht, seit sie ihren Mann verloren hat. Erschossen im Dienst, als Wildhüter. Vielleicht trinkt sie auch, weil sie mehr Kinder zu unterrichten hat, als es sinnhaft zu bewältigen ist und weil sie diese Sonderschulkinder, die ihr anvertraut sind, in Welten führen, vor denen wir alle am liebsten die Augen verschließen würden.

Hier ist Wildern an der Tagesordnung. Man nimmt sich was man will, notfalls mit Gewalt. Gruppen, die sich organisieren, sind bibeltreu und scheren sich einen Dreck um die Staatsräson oder die Naturschutzgesetze hier am Rand des Yellowstone. Das Land gehörte allen. Auch die Bull Mountains, so ihr Text. Und es geht um Verl. Er ist der Täter. Der Mörder. Von Gillians Mann. Und der Vater von Wendell. Seit Jahren war der jetzt schon verschwunden. Geflohen, damals nach der Tat. Da war Wendell, heute vierundzwanzig, noch ein Junge.

Der Alltag ist kein Zuckerschlecken. Der von allen hier. Die Quote der Schulabbrecher hoch, die Anzahl an Sonderschulkindern kaum zu handeln. Genau für sie kämpft Gillian. Andere kämpfen für anderes und wer Wind sät, erntet hier Sturm.

Zwischen verlassenen Goldgräbersiedlungen und Farmland stehen Trailer an trocknen Bachbetten. Nachts fällt das Licht aus den Sternen und tags werden Weidezäune zerschnitten. Eine Wolfsjagd wird geplant, Rancher mit den Banken im Nacken, wollen sich wehren, gegen das Verbot von Spritzmitteln und überhaupt gegen Obama im Weißen Haus.

Rancher wie Wendels Boss. Der kämpft, seit drei Generationen. Für seine Viehzucht, seinen Weizen. Der Zweck heiligt die Mittel meint er und folgt diesem Aufrührer Betts.

Joe Wilkins, geboren 1978 auf einer Ranch, nördlich der Bull Mountains in Montana, vier Gedichtbände gingen diesem seinem Roman voraus und für mich sind einem Debütroman vorausgegangene Lyrik-Veröffentlichungen stets eine Verheißung. Hat sich da doch jemand ganz sicher mit Sprache auseinandergesetzt und mit dem WIE möchte ich erzählen. Fall Back Down When I Die, so der Titel im Original, gewann 2020 den High Plains Book Award und folgte auf Wilkins Autobiografie The Mountain and the Fathers von 2013, in der er, laut Kritik, eindrücklich unter Beweis stellte, dass er weiß was es heißt mit den Mythen und Männlichkeitsbildern des amerikanischen Westens aufzuwachsen.

Was hat mich dieses Romankonstrukt beeindruckt. Wie Wilkins seine Figuren zueinander in Beziehung treten lässt, wie er die losen Fäden hält, das zu entdecken macht umso mehr Laune je weniger man im Vorfeld von dieser Geschichte weiß. Drum verrate ich jetzt inhaltlich auch nicht mehr.

Fiktiv sind Wilkins Helden, Freund wie Feind und auch Gegend und Ortschaften habe der Autor verfremdet lese ich und glaube ihm trotzdem jedes Wort und diese hammermässige Zuspitzung. Mit angehaltenem Atem steuert man hier auf einen Showdown zu. Ungebremst und aus voller Fahrt.

Da ist irgendwann zwar eine warnende Stimme in mir, aber ich tue sie ab, da wird schon nichts passieren. Von wegen!

Geschickt hält Joe Wilkins zunächst mit der Verbindung zwischen seinen Figuren hinter dem Berg und baut eine unterschwellige Spannung auf, die mich kontinuierlich vorangetrieben hat.

Gesellschaftskritisch wäre ein Adjektiv, das zu Wilkins Schreiben passt, die Einordnung in das Genre Western, die der Klappentext ihm zuschreibt, war für mich nicht stimmig. Ich hab’ es aber auch nicht so mit diesen Schubladen. Modern ist sie und weit davon entfernt eindimensional zu sein.

Kürzlich habe ich Euch von Morgan Talty Sein Name ist Donner vorgestellt. Aus einem Reservat heraus lässt er uns sein Amerika betrachten. Wilkins kennt ein anderes und diese beiden Seiten gehören zu einer Medaille.

Aufwühlend sind beide Romane, jeder auf seine Weise. Sprachlich eher rauh, wie das Land, wortkarg die Figuren und beladen. Hier zündelt ein Zorn, der tief gründet, teils auf Überzeugungen, die schwer nachvollziehbar sind. Für die, die Vernunft als Leitstern kennen.

Man spürt beim Lesen die Weite, die Einsamkeit, wird verfolgt von trockenen Grasbüscheln, die der Wind vor sich her treibt. Hat Staub im Gesicht. Zwischen den Zähnen. Sieht Wapitis ins Gesicht und hört den Wolf. Spürt ihn. Allein hier draußen und auf der Flucht.

“Dieses Land, wo das Versagen der Nation, das Versagen der Mythen, auf das Versagen der Menschen traf. Wo die Geschichte sich ins Grab legte. Wo Flüsse, die im April noch randvoll waren, im August zu Kies verlandeten. Wo das Gras vor dem Pflug dicht und fest war und dann auf ewig nur noch Staub aufwirbelte von dem versalzten, verkrusteten Boden hinter dem Pflug.” (Textzitat)

Sonderschüler, Borkenkäfer und ein Kugelhagel. Die Geister, die Gillian ruft, wird sie nicht wieder los. Eine Nacht in Angst. Roh und selbstgerecht üben die Gewalt aus, denen sie das Mittel zum Zweck ist.

Gern gelesen habe ich diesen Roman. Irma Wehrli hat ihn so packend und auch poetisch übersetzt. Trotzdem bleibt er sprachlich klar, wortkarg an vielen Stellen und nicht nur die eingestreuten Spuren von MacBeth sorgen dafür, dass sich ein shakespeareartiges Drama aufbaut. Mit Donnerhall und Tränen endet es. Weil es das muss. Was für eine Inszenierung! Kraftvoll, brachial und in seiner Konsequenz unaufhaltsam.

Das Land ist hart hier, war es schon immer, nicht der Mensch, kein Präsident haben es hart gemacht, schreibt Joe Wilkins. Deshalb ist der Wolf zurück. Denn ihm ist es gleich.

Was für eine Geschichte! Eine, die uns tief in das Herzen eines Landes führt, das wir heute nicht mehr verstehen. Das einst für die Freiheit stand und wo Hunderte, Tausende, auf Tracks nach Westen den Tod fanden um frei zu sein. Mit Blut an den Händen. Das Herzblut ihres Autors spürt man, hinter jedem Wort, jedem Satz, kauert Authentizität, rührt uns, rüttelt uns wach, raubt uns den Atem. Als besonders habe ich sie empfunden und mich gewundert, warum man sie so selten auf Büchertischen im Handel und unter den Social Media Empfehlungen sieht. Ich für meinen Teil habe Joe Wilkins für mich entdeckt und werde ihn im Hinterkopf behalten.

Wer also gerne abseits gewohnter Lesepfade unterwegs sein, wer besser verstehen möchte, wie das ländliche Montana tickt, der stecke seine Nase zwischen diese Seiten. Aber Vorsicht sie gehört zur Kategorie der blutdrucksteigernden Lektüren. Sagt nicht, ich hätte Euch nicht gewarnt …

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