Underground Railroad (Colson Whitehead)

Sonntag, 17.12.2017

Wir schreiben das Jahr 1964, kurz bevor der US-Präsident Lyndon B. Johnson mit dem “civil rights act” die Trennung zwischen Weißen und Schwarzen in Amerika zumindest juristisch aufgehoben hatte. Drei farbige Frauen arbeiteten damals für die NASA, u.a. die hochbegabte Mathematikerin Katherine Vaughn. Sie schuf mit ihren Berechnungen die Grundlage für den ersten erfolgreichen bemannten Raumflug der Amerikaner und sie hatte wesentlichen Anteil auch an der ersten Mondlandung der USA.

Bis heute ist Vaughns Einfluß vielen unbekannt. Ein Film über diese “Unentdeckten Heldinnen – Hidden Figures”. Kam im Februar diesen Jahres in die Kinos. Welche Ausmaße die Rassentrennung bis weit in die 1970iger Jahre in den USA noch hatte, das mit anzusehen, trieb mir hier die Wuttränen in die Augen.

Dabei war es bis hierher für die Farbigen in Amerika ja schon ein weiter Weg im Kampf um Gleichbehandlung gewesen, bedenkt man die Anfänge, als der Baumwoll- und Indigoanbau das Land einst reich gemacht hatten, und man aus Afrika gar nicht genug Menschen verschleppen und versklaven konnte um ausreichend Arbeiter zu haben …

Underground Railroad (Colson Whitehead)

Ein Netzwerk von Helfern, gesponnen über zahlreiche Bundesstaaten, das zwischen 1810 und 1850 etwa 100.000 Sklaven zur Flucht aus den Süd-Staaten der USA nach Norden verhalf. Die “Underground Railroad” agierte mittels geheimer Fluchthäuser, geheimer Botschaften, stets im Verborgenen. Man benutzte in der Kommunikation unter den Helfern, Begriffe aus der Welt der Eisenbahn, so kam das Netz zu seinem Namen.

In seinem Roman geht Whitehead noch einen Schritt weiter, er greift tief in die schriftstellerische Trickkiste, nicht nur formulierend, und erweckt die “Underground Railroad” zum Leben. Läßt sie zu einer echten, körperlichen Eisenbahn im Untergrund werden. Ein Tunnelsystem von abertausend Kilometern erschafft er, gut geschützt, von Agenten geführt, finster, durchdrungen von Mut, Entbehrung und schier grenzenlosem Engagement …
(Bild- und Infoquelle: Wikipedia)

Textzitat: “Geraubte Körper bearbeiteten geraubtes Land. Es war eine Maschine, die niemals stillstand, ihr gieriger Kessel wurde mit Blut beschickt”.

Georgia, Randall Plantage. Dieser Tag war es, an dem sich Cora endgültig zur Flucht entschieden hatte. Die Grausamkeiten würden hier kein Ende nehmen, im Gegenteil, sie nahmen gar an Intensität zu. Der Galgen stand in der Mitte des Rasens, Tage lang hatten sie ihn für die Bestrafung hergerichtet.

Am gedeckten Tisch davor hatten sich die Gäste ihres Herrn eingefunden und tafelten ausgiebig, während der Aufseher peitschte. Ebenfalls ausgiebig, langsam und ausdauernd. Abschließend übergoß man den Mann, der nur noch aus Fetzen zu bestehen schien und sich unter Qualen wand, mit Öl und zündete ihn an …

Alle Sklaven der Plantage hatten sich ebenfalls um den Galgen versammeln müssen, durften ihren Blick nicht abwenden. Selbst wenn man das hätte tun können, vor dem Geruch nach verbranntem Fleisch, den erstickten Schreien, hätte es kein Entkommen gegeben ..

Textzitat: “Die Sklaverei war eine Sünde, wenn Weiße unters Joch gebeugt wurden, nicht aber, wenn es Afrikaner waren. Alle Menschen sind gleich, es sei denn, wir entscheiden, dass du kein Mensch bist.”

North Carolina. Ihre Helfer dürfte sie auf keinen Fall mit in Gefahr bringen, ihnen drohte, würde sie auffliegen, ebenso der Galgen, bei der feierlichen wöchentlichen Freitagshinrichtung, wie ihr selbst. Mit den Helfern der Railroad ging man hier nicht zimperlich um. Küchenhilfen verrieten ihre Herren, Kinder ihre Eltern. Die Regulatoren kannten keine Gnade, für ihre Hausdurchsuchungen gab es nicht immer einen stichhaltigen Grund. “Die Straße der Freiheit” wollte schließlich bestückt bleiben. Hier baumelten sie, am Wegesrand, die Leichen all derer, die sie in ihren Verstecken aufgespürt hatten. Die Leichen all derer, die den Versteckten geholfen hatten. Ohne Unterschied. Gleich ob Mann, ob Frau, ob Kind, ob schwarz, ob weiß …

Textzitat:” Und auch Amerika ist eine Illusion, die größte von allen. Die weisse Rasse glaubt – glaubt von ganzem Herzen – , das sie das Recht hat, das Land zu rauben. Indianer zu töten. Krieg zu führen. Ihre Brüder zu versklaven. Wenn es irgendeine Gerechtigkeit auf der Welt gibt, dürfte diese Nation nicht existieren, denn ihre Grundlagen sind Mord, Diebstahl und Grausamkeit.”

Colson Whitehead, geboren 1969 in New York City, Harvard Student und Universitäts-Dozent an Amerikas bekanntesten Unis. Für sein schriftstellerisches Werk wurde er in den USA mehrfach preisausgezeichnet. In diesem Jahr erhielt er die Preise gleich im Doppelpack, was vor ihm nur zwei andere Autoren geschafft haben Faulkner und Updike. Sein Underground Railroad wurde mit dem National Book Award 2017 (dem wichtigsten Literatur-Preis der USA) und mit dem Pulitzer Preis 2017 (dem berühmtesten amerikanischen Literaturpreis) ausgezeichnet.

Whiteheads Roman ist eine Herausforderung, er fordert Amerika heraus auf seine Vergangenheit zurück zublicken. Seine Leser fordert er heraus durchzuhalten, angesichts all dieser Gräuel und den Blick zu öffnen, für mehr Toleranz auch in unserer heutigen Gesellschaft.

Er stößt uns eine Tür zu einem Schauplatz und einem Kapitel der amerikanischen Geschichte auf, das wir Europäer bis heute mit Schrecken und Unverständnis betrachten. Die Blütezeit des Baumwollanbaus in Amerika, der Beginn der Globalisierung auf dem Rücken derer aufgebaut, die heimat- und hoffnungslos, brutal unterjocht worden waren? Vergleiche ich zwei Romane mit historischem Kern, die ich in diesem Jahr gelesen habe miteinander, hat Whitehead für mich “Das Floss der Medusa” an Schrecken noch übertroffen. Bedenkt man, das in seinem Roman hier ausnahmslos alle Grausamkeiten bewußt und nie zufällig, von Menschen gemacht sind.

Ausgepeitschte, deren Wunden man noch mit Pfeffer bestrich, Zangssterilisationen und andere medizinische Experimente. Es herrschten Intoleranz und Willkür. Schonungslos, aber nie voyouristisch erzählt er uns von diesen Untaten. Läßt seine Sätze einen Moment in der Luft hängen, nicht damit wir Luft holen können, nein – so hallen sie besonders intensiv nach.

An so einigen Stellen habe ich die Hand vor den Mund geschlagen um einen Aufschrei zu unterdrücken. Hab einen Augenblick gebraucht, verharrt mit Furcht in den Knochen weiter zu lesen, mit Furcht vor dem was da zwischen den nächsten Seiten noch auf mich warten würde …

Gottesfurcht und Lynchjustiz, Leichendiebe und Kopfgeldjäger treffen hier auf Verzweiflung, Hoffnung und Fluchtträume. Der Norden, vielleicht Kanada als Endstation Sehnsucht? Kritiker werden eventuell sagen es fehle ihnen an historischen Fakten zur Railroad – aus meiner Sicht geht es hier aber nicht darum. Denn sind es nicht immer die Einzelschicksale, die das Grauen von menschengemachtem Unrecht nahbar machen? An der Stelle wage ich jetzt mal den Vergleich mit “Schindlers Liste” …

Whiteheads Roman hat sich, gelesen im Jahres-Endspurt 2017, auf der Liste meiner Lese-Highlights, weit nach oben geschoben. Ich ziehe einen imaginären Hut, auch für die klaren, teils harten Worte die er findet und dafür, wie mutig er hier Stellung bezieht. Nicht umsonst hatte Ex-US-Präsident Obama dieses Buch auf seine Ferien-Lese-Liste gesetzt!

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