Schurken der Landstraße (Michael Chabon)

*Rezensionsexemplar*

Sonntag, 07.10.218

Oktober. Es wird jetzt wieder früher dunkel. Ein frischer Wind treibt das Laub durch die Straßen. Es knistert beim Spaziergang unter unseren Füßen. In der Früh sind die Wiesen schon mit Rauhreif überzogen. Die Wärme, die in den letzten Monaten auch belastend war, ist jetzt wie ein Geschenk und lockt uns ins Haus.

Im Kamin prasselt munter ein Feuer. Vor mir auf dem Tisch steht dampfend eine Tasse Tee. Ich ziehe die Wolldecke enger um meine Beine. Blättere die letzte Seite meines Buches um und lege es in meinem Schoß ab. Schließe die Augen, lausche auf die Holzscheite die im Kaminfeuer zerfallen und meine mich dabei zwischen diesen beiden Schurken am Lagerfeuer sitzen zu sehen. Dabei hat ihre gemeinsame Geschichte ganz anders angefangen, in einer Schenke nämlich, wo zwei Männer, die nicht unterschiedlicher sein könnten, bei einer Auseinandersetzung aufeinander trafen …

Schurken der Landstraße (Michael Chabon)

Chasarien, im Kaukasus, 10. Jahrhundert nach Chr.

Der Dolch Messer war sirrend durch die Luft geglitten und hatte den schönen schwarzen Hut des hageren, seltsam hilflos wirkenden Franken wie ein Brieföffner aufgeschlitzt und an die Wand getackert. Man muß noch kurz erwähnen, das der prächtige Hut zu diesem Zeitpunkt auf dem Kopf des Mannes saß, und der Messerwurf ihn von eben diesem heruntergefegt hatte. Scharf sog der so “Enthutete”, bei dem Blick auf sein zerstörtes bestes Stück, hörbar die Luft ein. Die umstehenden Männer hielten den Atem an. Diese so offensichtliche Provokation konnte der von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidete Fremde doch nicht auf sich sitzen lassen! Eilig tauschten sie wettend noch ein paar Münzen aus. Die meisten von ihnen waren sich sicher, dass ein handfester Streit kurz bevor stand und das der hünenhafte Afrikaner, der das Messer geworfen hatte, und jetzt seelenruhig, ja scheinbar unbeteiligt weiter in seinem Eintopf rührte, als Sieger aus diesem hervorgehen würde.

Und so kam es, wie es kommen musste, bzw. schlimmer. Ein Wort gab das andere und alsbald sahen sich der “Hut-Zerstörer” und sein Opfer vor der Tür der Schenke in einen Kampf auf Leben und Tod verwickelt, während ihnen die Anfeuerungsrufe der Schenkenbesucher nur so um die Ohren flogen. Die Wendung die dieser Kampf aber nehmen sollte, hatte keiner der Männer auf der Rechnung …

Prächtig sah er aus, der Kampfelefant wie er so erhaben und gemessenen Schrittes auf das Stadttor zu trabte. Die Brokatdecken auf seinem Rücken schimmerten in der Sonne und die Seidenbänder, die an ihm befestigt waren flatterten im Wind. Vor dem bereitstehenden Heer hielt er noch einmal an und es löste sich ein Reiter aus der Menge, stieg vom Pferd und trat zwischen die Beine des riesigen Tieres. Ein Raunen ging durch die Reihen, als er nach einem herabhängenden Seil griff um sich auf den Rücken des Elefanten zu schwingen und den Halt verlor. Wie ein Wunder erschien es ihnen, dieser Mann war wahrhaft ein Zauberer. Denn die Elefantenkuh griff nach hinten stütze den Mann mit ihrem Rüssel!

Was keiner ahnte. Der Elefant hatte Zelikman wiedererkannt, den Jungen, der sie damals immer getätschelt und mit Äpfeln gefüttert hatte. Seltsam verkleidet kam er ihr zwar vor, mit seinen spitzen, sich nach oben biegenden bunten Pantoffeln und mit dem nachlässig gewickelten Kopfputz. Aber es bestand kein Zweifel, sein Geruch war unverkennbar. Er war es! Wie lange das her war, schön ihn wiederzusehen. Die Männer in der Sänfte auf dem Rücken des Dickhäuters reichten Zelikman die Hand und halfen ihm hinauf. Ein ehrfurchtgebietender Anblick war das …

” Mit Einbruch der Nacht frischte vom Wasser her ein Wind auf, blies aus den Landen jenseits des Chasarischen Meeres und der weiten Steppe des Nordens, aus bewaldeten, verschneiten Königreichen – nach Amrams Einschätzung die Wohnstatt von Hexen, Schnee-Dschinnen und Kriegerinnen, die auf Bären und riesigen Hirschen ritten. Der Wind trug nichts als das Versprechen von Eis, Sturm und vorrückender Dunkelheit heran, und Amram kniete am Nordhang eines unbekannten Berges, fern der Heimat, zog sich seinen wollenen Umhang enger um die Schultern und ahnte in seinem Herzen, dass er seine Tage in einem Winterreich unter winterlichen Menschen beschließen würde.” (Textzitat)

Michael Chabon, wurde 1963 in Washington D.C. geboren und er lebt heute mit seiner Frau, die ebenfalls Schriftstellerin ist in Kalifornien. Seine Werke wurden mehrfach ausgezeichnet unter anderem hat er den Pulitzer-Preis gewonnen für “Die unglaublichen Abenteuer von Kavalier & Clay”. Seinen gefeierten Debüt-Roman “Die Geheimnisse von Pittsburgh” habe ich in den Achtzigern gelesen und dann diesen Autor aus den Augen verloren. Was für ein Glück, dass ich ihn mit diesem Schurkenstreich wieder entdeckt habe und seinen “Kavalier & Clay” werde ich jetzt auch mal unter die Lupe nehmen.

Das eingefügte Textzitat oben ist in Sachen “Schachtel-Satzkunst” keine Ausnahme, im Roman “Die Schurken der Landstraße” drängeln sie sich förmlich. Alle sind wunderschön ausformuliert, bildhaft und erschaffen so eine Szenerie in die man am liebsten eine Zeitreise unternehmen möchte. Als Zuschauer versteht sich, denn hier sind Kampf und Krieg angesagt, brandschatzende Horden nehmen keine Rücksicht auf Alter und Geschlecht. Es werden Herrscher gestürzt, deren Kinder ohne mit der Wimper zu zucken als Sklaven verkauft werden und der eigene Vorteil, sowie der Machterhalt gehen den Umstürzlern über alles. In der Kaukasusregion Chasarien, einem Land vor unserer Zeit, treffen wir sogar auf Ragna. Die Wikinger haben auch in diesem Teil der Welt geplündert und gebrandschatzt. Chabon hat in diesem Roman nicht nur wunderbare Figuren ersonnen, er hat sorgfältig recherchiert und man merkt seiner Geschichte das Fleisch an den Knochen deutlich an.

Und dann gibt es noch diese herrlichen Gaunereien, mit denen Amram und Zelikman, unsere beiden Schurken ihr Geld verdienen. Dialoge, die zum Niederknien sind, witzig, schlagfertig, oft mit feiner Ironie gewürzt. Meine Lieblingsszene ist immer noch der Streit der beiden auf dem Rücken eines müden Gauls.

Eigentlich hätten sie sich ja am liebsten aus allem raus gehalten, völlig zufällig und nur wegen ihrer Gutmütigkeit sind sie in diese Abenteuer verstrickt worden und die haben es wirklich in sich. Sie begegnen auf einer ihrer Reisen einem Mann, der den Sohn eines ermordeten Königs bei sich hat und diesen in Sicherheit bringen will. Dumm nur, dass der Mann nicht lange genug am Leben bleibt um diesen Job auch zu Ende zu bringen. Plötzlich haben Amram und Zelikman den jungen Mann am Bein und mit ihm einen ganzen Haufen Schwierigkeiten …

Prall ist dieses kleine Taschenbuch mit ihnen angefüllt, mit Abenteuern meine ich, gut mit Schwierigkeiten auch. Hier wird zusammengehalten, sich gegenseitig das Leben gerettet, gekämpft, geblutet, gelitten und auch geheilt. Das macht wirklich Laune; sprachlich, inhaltlich und erst diese Wendung zum Ende der Geschichte hin. Was so alles zwischen zwei Buchdeckel paßt! Unglaublich. Ach ja, Wörter die ich vorher überhaupt nicht kannte habe ich auch noch gelernt. Oder wisst Ihr was eine “Schnirkelschnecke” ist? Nein? Denkt mal an eine Wendeltreppe …

Kurz noch ein Wort zu unseren Helden, pardon Schurken, dann höre ich auch auf mit Schwärmen: Zelikman ist so eine Art Wanderchirurg, oder Heiler – wie auch immer. Mich haben seine Methoden zeitweilig sogar an den Medicus von Noah Gordon erinnert. Wer das mochte, wird auch hier seine Freude haben. Wehmütig ist er, integer ist er, Heimweh hat er und seine Pfeife, die mit was auch immer er sie stopft, versetzt ihn (so Amram) stets in eine merkwürdige Stimmung. Die Liebe zu seinem Pferd Hillel, dass ihm – und da gibt es keinen Zweifel, nur gestohlen wird, weil Amram sie genau hierher geführt hat, reißt ihm fast das Herz heraus. So bleibt den beiden Freunden nur, es wieder zurück zu stehlen. Was sich als Mammutaufgabe erweist, die beide in Lebensgefahr bringt.

Amram ist Afrikaner und ein Kämpfer vor dem Herren. Schlitzohrig und in Sachen “wie ziehen wir den Leuten das Geld aus der Tasche” ist er der Kopf der Schurken. Er kann sich um Kopf und Kragen auch reden, ist vielleicht etwas vorlaut und hat ein Herz wie ein offenes Scheunentor.

In meiner Apotheke steht dieser Titel klar für die Abenteuerlust, den Entdeckergeist und es läßt sich großartig mit ihr Abtauchen in eine andere Zeit. Lasst Euch mit reißen!

Die “Schnirkelschnecke” verdanken wir übrigens Andrea Fischer, denn sie hat diesen kleinen, feinen Roman vortrefflich ins Deutsche übersetzt. Kein Wunder das, denn sie hat seit 1996 bereits über hundert übersetzte Romane auf ihrem Konto. Chapeau – kann ich da nur sagen und Dankeschön für dieses Formulier-Vergnügen!

 

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