Mysterium (Federico Axat)

Samstag, 29.04.2017

Das Schachspielen hat mich immer schon fasziniert. Als ich noch ein Mädchen war, hat mein Vater es mir und meiner Schwester beigebracht. Gut darin war ich nie, mir fehlte einfach die Fähigkeit über den nächsten Zug hinaus zudenken. Unfassbar erscheint es mir, wie die Schachweltmeister ganze Partien im Kopf durch spielen, ja durch rechnen können.

Ist das noch normal? Im Weltmeisterschaftskampf 1972 in Reykjavik, zwischen dem Amerikaner Bobby Fischer und dem Russen Boris Spasski, hatte nicht nur Fischer eine Paranoia. Das Schachwunderkind Fischer gewann in dem “Match des Jahrhunderts” überzeugend nach zahlreichen Querelen und Spielunterbrechungen. So war z.B. Spasski der Meinung, als er zurücklag, man habe um ihn abzuhören etwas in seinen Stuhl eingebracht. Als er sich nicht beruhigen und auch nicht mehr weiter spielen wollte, nahm man seinen Stuhl komplett auseinander. Man fand zwei tote Fliegen …

Bobby Fischer hörte unmittelbar nach seinem Sieg auf mit dem Turnierschach und stürzte komplett ab. Er lebte am Ende fast als Eremit in Island.
“Genie und Wahnsinn …” Wie es sein muss, so fokussiert zu bleiben, um quasi mit totalem Tunnelblick einen solch mathematischen Kraftakt, wie ein Schachturnier dieser Güte, bewältigen zu können, kann ich mir gar nicht ausmalen. Ist es, wenn man ständig in einem Zustand absoluter Rationalität denkt, überhaupt noch möglich den Schalter für ein “normales” alltägliches Denkmuster wieder umzulegen. Was wenn man sich selbst darin verliert? Wenn man zum Ermittler in seinem eigenen Denken, seinem eigenen Leben werden muss …

Mysterium (Federico Axat)

Alles ist vorbereitet. Holly ist mit den Mädchen bei den Großeltern in Florida, wahrscheinlich sind sie gerade in Disney World. Ted McKay lächelt bei dem Gedanken.

Die Pistole in seiner Hand ist entsichert. Sie fühlt sich schwer an, jetzt wo sie geladen ist. Dies ist kein impulsiver Entschluß, er hat seinen Selbstmord überlegt geplant, und doch fällt es ihm jetzt schwerer als gedacht. Moment, hat er auch alle Zettel aufgehängt? Die am Kühlschrank und an der Eingangstür zu seinem Arbeitszimmer? Sie sollen Holly davor warnen, gemeinsamn mit den Mädchen einzutreten. Er will auf keinen Fall, dass sie, seine Augensterne, ihn so finden. Mit einer Kugel im Kopf, in einer Blutlache. Holly kann er es nicht ersparen, sie wird es verstehen.

Ted atmet durch und hebt die Waffe an die Schläfe – da klingelt es an der Tür. Ted zögert und senkt die Waffe, der “Klingler” beginnt jetzt zusätzlich an die Eingangstür zu hämmern und laut vernehmbar nach ihm zu rufen. Gut, dann muss sein Vorhaben noch einen Moment warten, der lästige “Klopfer” wird sicher gleich wieder verschwinden.

Während Ted wartet, streift sein Blick die Tischplatte des Schreibtischs. Augenblick – dort, wo der Abschiedsbrief an Holly liegen sollte, liegt jetzt ein einfacher Zettel? Ein Zettel mit seiner Handschrift auf dem steht, er solle die Tür aufmachen, dies sei sein letzter Ausweg …

Dr. Marcus Grant ist fassungslos! Was seine Kollegin Dr. Laura Hill hier von ihm verlangt ist nicht nur unverschämt sondern ganz und gar unmöglich. Grant ist Leiter von Trakt C im Lavender Memorial Hospital. Trakt C ist die Hochsicherheitsabteilung der geschlossenen Psychatrie. Für die Einweisung eines Patienten gibt es hier klare Regeln, ohne die Zustimmung der Angehörigen, der medizinischen Kommission und der Klinik-Chefin geht hier gar nichts. Diese Formalitäten dauern meist mehrere Tage. Er kann das Prozedere nicht umgehen und er will es auch nicht, was bildet sich Laura bloß ein? Er hat gute Chancen hier der nächste Klinik-Chef zu werden, das setzt er doch mit einer solchen Aktion nicht auf’s Spiel. Ihr Engagement für den Patienten in allen Ehren, für ihn scheint das aber schon eher eine Obsession zu sein. NEIN! Doch Laura kämpft, zudem hat sie schon Tatsachen geschaffen, ihr Patient ist schon sediert und wartet im Eingangsbereich. Eine Idee wie die Situation zu lösen wäre hat sie auch bei der Hand, wenn sie nur Ted McKay jetzt, jetzt gleich hier unterbringen kann …

Federico Axat, argentinischer Ingenieur legt mit “Mysterium” seinen ersten Roman vor. Was für ein Debüt, er zieht wirklich alle Register! Einen Thriller solcher Machart habe ich bisher nicht gelesen. Axat verstrickt seine Leser ahnungslos in ein alptraumhaftes Verwirrspiel. Atemlos stolpern wir mit Ted McKay durch ein wahres Dickicht aus Erinnerungssträngen. Ein Opossum wird dabei zum Wegweiser und nur die Psychologin Laura Hill ist uns ein Kompaß in diesem Labyrinth. Einer Achterbahnfahrt gleich, legt sich die Handlung in die Kurve. Immer wenn man als Leser glaubt eine Ahnung zu haben, worauf die Sache hinausläuft gibt es eine Wendung. Kurz, schnell und heftig reißt es einen in die Gurte, freier Fall. Wir schießen mit Ted durch die Loopings und wissen nicht mehr wo oben und wo unten ist. Zahlreiche Kapitel enden mit einem Cliffhanger, gnadenlos treibt Axat seine Leser weiter. Was ist real, was nicht? Unterwegs verliert man jegliches Gefühl für Gut und Böse. Zu welcher Gattung gehört denn eigentlich jetzt die Hauptfigur? Atemlos fliegt man über die Zeilen, schließlich kann die alles entscheidende Entdeckung ja hinter der nächsten Biegung, Pardon Seite, liegen. Brilliant und außergewöhnlich.

Puh, kurzatmig und staunend, wie schnell 427 Seiten verfliegen können, bin ich glücklicher Weise mit heiler Haut aus der Geschichte wieder raus gekommen! Lesen – und Anschnallen nicht vergessen!

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