Moabit (Volker Kutscher)

Donnerstag, 22.03.2018

Wie ein Tanz auf dem Vulkan. Ein Ausflug in’s Sündenbabel. Gleich drei Regisseure u.a. Tom Tykwer haben sich der erfolgreichen Krimi-Reihe von Volker Kutscher um seinen Kölner Kommissar Gereon Rath angenommen, den es in’s Berlin der 1920er Jahre verschlägt. In legendären Tanzlokalen vergißt man dort Hunger, Not und Alltagssorgen, während die Macht der Nazionalsozialisten erstarkt.

Der erste Band der Gereon-Rath-Reihe, “Der nasse Fisch” ging beim Privatsender Netflix in Serie, in 2018 soll diese jetzt auch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ausgestrahlt werden. Sie wird als Highlight beworben und das völlig zurecht! Man kriecht hier durch’s Schlüsselloch mitten hinein in den legendären Berliner Tanztempel Moka Efti, in die armseligen Hinterhöfe und Wohnzimmer der einfachen Leute. Ist sofort von dieser besonderen Stimmung gefangen. Der Soundtrack ist magisch, erinnert an Zarah Leander und die Dietrich.

Diese Verfilmung hat mich neugierig gemacht auf die Kutscher Krimis,von seinen Figuren wollte ich mehr erfahren. Desöfteren war ich schon über diesen Titel hier gestolpert, Gereon Rath 0.5, dem Titel nach also eine Vorgeschichte. Mit der Hörbuch-Fassung, die, obwohl sie nur knappe zwei Stunden umfasst, aber gleich von drei Sprechern eingelesen wird, kann man doch nichts falsch machen, oder?

Moabit (Volker Kutscher)

Die Berolina war ein sauberer Ringverein. Einbrüche, ein bisschen Schutzgeld hier und da, keiner drehte hier Dinger mit Koks oder Huren.

“DEN Schränker” nannten sie ihn, weil er jeden Geldschrank knacken konnte. Dafür stand er, auch wenn jetzt hier einsaß, ihr Boss, Adolf Winkler alias Addi. Als ungekrönter König von Moabit zog er auch aus dem Gefängnis heraus noch immer die Strippen, hatte er eben seinem zweiten Mann im Besuchsraum noch den Kopf zurecht gerückt, dann die Nerven verloren: Dieser Holzkopf hatte einfach von der Geschäftsführung keine Ahnung. Durchatmen, nur ruhig Blut -. Anderthalb Wochen waren es heute noch bis zu seiner Entlassung. Auf dem Weg zurück in seinen Zellenblock, sein Wärter hatte es plötzlich eilig auf’s Häuschen zu kommen und ihn vertrauensvoll auf dem Flur allein stehen lassen, sah er sich einem Mitgefangenen gegenüber. Dieser war ebenfalls allein und noch bevor Addi überlegen konnte wo der andere hergekommen war, blitzte eine Klinge in dessen Hand auf und er lag am Boden, verwickelt in einen Kampf auf Leben und Tod …

Volker Kutscher lebt in Köln. Der gelernte Journalist hat in seiner Reihe um den Kölner Kommissar und sein Wirken im Berlin zur Zeit der Weimarer Republik und im aufkeimenden Nationalsozialismus, bislang sechs Fälle und diese Kurzgeschichte veröffentlicht. Sein erster Berlin-Krimi erschien bereits 2008.

An seiner Geschichte Moabit gefällt mir besonders, dass er seine Figuren auch sprachlich wunderbar unterschiedlich heraus arbeitet. Sein Bandenchef kommt eher schnodderig daher, ist sich seiner Befehlsgewalt dabei aber mehr als bewußt. Sein Gefängnisaufseher Ritter ist ein Ehrenmann, gradlinig und korrekt, verantwortungsvoll und pflichtbewußt. Charlotte mit ihrer Zielstrebigkeit und ihrem unbändigen Lebenshunger, so quirlig, neugierig und lebendig, und ein kleines bisschen vorlaut. Das Abitur in der Tasche, der Weg zum Studium offen, ein vorgezeichneter Weg? Wir erleben wie aus der “Knast-Lotte” so ihr Spitzname, Nachts “Charlie” wird.

Dieser kleine aber feine Geschichtsfetzten macht definitiv Lust auf mehr, er ist spannend, schillernd und kurzweilig und mündet in einem tragischen Finale. Gleich ob lesend, hörend oder in Bildern erzählt – Kutschers Kriminalromane sind wie lebendig gewordene Geschichtsbücher. In diesem Falle gibt es das Innenleben einer preußischen Haftanstalt inklusive.

Es kämpfen Lebensretter mit ihren Idealen und auch Gangster mit ihren Wertvorstellungen. Die Polizei steht dazwischen, während alle miteinander ringen. Von Vätern und Töchtern, Gewissensbissen, Fallenstellern und Nachtschwärmern. Zum Glück eine Geschichte mit Fortsetzung …

Hörbuch-Fassung:

Drei Kapitel, drei Perspektiven, drei Sprecher = eine tolle Idee.

Marc Hosemann, Schauspieler, hat im Hörspiel “Die Säulen der Erde” für den WDR 1999 schon als Sprecher mitgewirkt. Er ist in Moabit als Erster dran. Er liest seinen Part herrlich kratzig und verraucht, als hätte er eine Nacht lang durch gesoffen. So passt er wie Faust auf Auge zu seiner Figur, dem Unterwelt-Boss Addi.

David Nathan, der vorlesend in die Rolle des Gefängniswärters Ritters geschlüpft ist, interpretiert diesen Charakter wohltönend und integer. Nathan ist ein echter Profi, man kennt ihn von zahlreichen Hörbuch-Produktionen, als eine echte Bank. Als Synchron-Sprecher ist er die deutsche Stimme von Johnny Depp und Christian Bale, aber auch Leonardo DiCaprio hat schon durch ihn zu uns gesprochen.

Karoline Herfurth, preisgekrönt als Schauspielerin, vielen bekannt aus Fuck u Göthe, im Hörbuch eher selten präsent, liest die Charlotte Ritter. Gibt sie mal quirlig und putzmunter, mal nachdenklich und versonnen. Die Nachtschwärmerin und brave Tochter am Tag, paßt ebenfalls sehr gut zu ihrer Stimme.

Dieses Sprecher-Trio ist für mich eine echte Bereicherung für Kutschers Erzählung und ich werde defintiv mal schauen, wer seine übrigen Fälle eingelesen hat und mich dann entscheiden – weiter lesen oder doch lieber hören?

Auf nach Berlin, um im Champagner zu baden und eine Nacht lang durch zu tanzen, will ich auf jeden Fall nochmal …

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