Die Wölfe kommen (Jérémy Fel)

Sonntag, 27.08.2017

Angst – jeder kennt sie, jeder hat sie, dann und wann. Die Angst etwa vor, Veränderungen, vor engen Räumen, vor Dunkelheit, vor großen Höhen, vor Spinnen, vor körperlichen Schmerzen oder die Angst davor einen geliebten Menschen zu verlieren …

Die Angst vor dem bösen Wolf, kaum ein Märchen kommt ohne sie, respektive ihn aus. Der Mythos Werwolf – aus der Fantasy nicht wegzudenken …

Im Kino erorberte Kevin Costner mit seinem Indianer-Epos “Der mit dem Wolf tanzt” die Herzen von Millionen Zuschauern. Auch mir ist dieser Film unvergessen. Der Wolf – Unheilsbringer oder Gefährte? Wie kein anderes Tier polarisiert er. Steht er für die einen als Sinnbild für das Böse, so fasziniert er die anderen.

Als die ersten Mitteilungen laut wurden, die Wölfe seien zurück in deutschen Wäldern ging zunächst die Angst unter den Spaziergängern um. Aufklärung tat Not.

Bei uns im nahen Wildfreigehege ist vor gut einem Jahr ein Wolfsrudel eingezogen. Handaufzuchten, anfangs putzig, machen sie uns jetzt regelmäßig mit ihrem Heulen in Vollmondnächsten Gänsehaut. Eine Urangst rührt sich, wird man dieser Töne gewahr …

Der Autor, den ich Euch heute vorstellen möchte, macht sich genau das zu nutze. Er scheint sie alle zu kennen, unsere Ängste, spielt mit uns, stellt uns an den Abgrund und läßt uns tief hinein blicken, in den Schlund unserer Angst.

Schaut selbst:

Die Wölfe kommen (Jérémy Fel)

Wie von Sinnen hatte er auf seinen Sohn eingeprügelt. Loretta hatte verängstigt zugesehen. Wie immer, wie immer hatte sie ihrem siebzehnjährigen Sohn Daryl nicht beigestanden. So war auch der Blick, den er ihr jetzt zu warf, ein einziger stummer Vorwurf und er traf sie damit bis ins Mark. Das Essen, dass sie ihm später vor die Tür seines Zimmers auf den Boden stellte hatte er nicht angerührt und am Morgen danach war er verschwunden. Ohne Nachricht, ein paar Sachen fehlten aus seinem Zimmer. Vielleicht brauchte er nur etwas Abstand. Morgen würde sie nach ihm suchen, Morgen würde man weitersehen …

Rastlos war sie in der Nacht nach Daryls Verschwinden durch’s Haus gewandert. Ruhelos, sorgenvoll und verängstigt. Jeder Schatten hatte sie aufgeschreckt. Sie zwang sich wieder ins Bett und fand in einen unruhigen Schlaf. Der Rauch, der sie aufgeweckt hatte, kroch unter der Tür in ihr Schlafzimmer, leckte an der Tapete. In Panik weckte sie ihren Mann, der noch immer wie in Baby schlief. Feuer!

Es hatte sich im Wohnzimmer schon über die Vorhänge hergemacht. Die verzweifelten Löschversuche ihres Mannes, der brennende Teppich, die kleinen Flämmchen, die sich nach den Hosenbeinen seiner Pyjama-Hose streckten. Als sie ihren Mann brennen sah, floh sie zurück ins Schlafzimmer. Hustend, sich einen Weg an’s Fenster bahnend. Ihr Blick nach draußen, die Gewißheit des heran nahenden Todes die wie Eiswasser in sie einsickerte, war nichts gegen das was sie dort unten sah. Daryl, ihr Daryl stand dort! Lässig an einen Geländewagen gelehnt, rauchend vor dem Haus und blickte auf die Flammen die sein Elternhaus verschlangen, einen Benzinkanister in der Hand …

In den Sagen der nordamerikanischen Indianer lebte er weiter, der Wendigo. Ein grausamer Menschenfresser der tief in den Wäldern verborgen lebte und der diejenigen ebenfalls zum Monster machte, die er in ihren Träumen rief. Zum ersten Mal ohne die Eltern in die Ferien, das klang nach einem guten Plan. Ein Feriencamp irgendwo im Wald, Zelten, Wandern, an der frischen Luft was gegen seine Aggressionen tun, das sollte er. Damien saß in dieser Nacht mit den anderen am Lagerfeuer, als ihr Betreuer die Sage des Wendigos erzählte. Das waren doch nur Gruselgeschichten für die Kleinen dachten alle. Zumindest bis Damien in der Nacht auf dem Boots-Steeg diese Flecken sah und die dunkle Silouette, die sich über ein am Boden kauerndes Bündel am Ende des Steegs erhob …

Jérémy Fel hat nach seinem Literatur- und Philosophiestudium als Buchhändler gearbeitet, lebt heute in Rouen und schreibt als Fan amerikanischer TV-Serien überwiegend Drehbücher. Sein Debüt-Roman “Dielfe kommen” ging im Herbst 2015 nach seinem Erscheinen in Frankreich durch die Decke. Die deutsche Übersetzung ist beinahe noch druckfrisch aus dem Juli 2017. Man handelt ihn als geistigen Erben von Stephen King. Das sind große Galoschen, die man ihm da hinstellt – entscheidet selbst, ob sie ihm passen …

Er läßt uns mit den ersten Kapiteln seines Roman, die an eine Kurzgeschichten-Sammlung erinnern, noch im Ungewißen, wiegt uns in Sicherheit – so schlimm kann es gar nicht werden. Erwartet man doch nach Klappentext und Cover gleich ein “böses Erwachen”. Unheilverheißend glimmt der auf dem Cover aufgeprägte Blitz neonfarben im Dunkeln. Es könnten auch Adern sein, im schwarz bedruckten Seitenschnitt setzen sie sich fort.

Die ersten zweihundert Seiten knüpfen wir mit Fel lose Enden zusammen, bis der rote Faden sichtbar wird und wir merken hinter WEM wir da eigentlich her sind …

Dieser Roman ist grausam! Grausam und fasziniernd. Die Erzählform in Episoden ist es, die diesen Thriller spannend macht. Wie im Rausch liest man weiter, auch dann, wenn man mehr eigentlich gar nicht mehr wissen, mehr nicht mehr ertragen will. Verwirrend, verstörende Puzzleteile legt Fel vor uns aus. Er bleibt eher an der Oberfläche seiner Täter, thematisiert weniger deren Motive, als das Handeln und die Konsequenzen. Welche Maske trägt das ewig Böse? Niemals hat es das gleiche Gesicht.

Triebhaft, brutal und gewalttätig sind seine Figuren. Blutige Opfer gibt es reichlich. Gewalt gegen Kinder, gegen Frauen, gegen arglose Nachbarn. Monster verbergen sich in den Schatten. Sind sie nur Geister, Aberglaube oder doch Realität? Fel hetzt uns als Leser bis wir das Alphatier erkennen und selbst Teil der Meute werden. Atemlos erwacht man am Ende schweißnass, wie aus einem Angst-Traum. Augenreibend und erleichtert, wieder heil in seinem eigenen Leben angekommen zu sein …

Die Wölfe kommen! Auch noch im letzten Kapitel macht Fel uns deutlich, sie werden immer unter uns sein …

Mein Dank geht an den Verlag für dieses Rezensions-Exemplar.

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