Die geheimen Schwestern (Anne Fortier)

Freitag, 19.01.2018

Was für eine grausige Idee! Die rechte Brust amputiert oder ausgebrannt, damit der Bogen besser zu handhaben war – so kann man es über die Amazonen nachlesen. Maza = Brust, heißt es im altgriechischen und so stecken damit fraglos diese beiden Silben drin, im Namen der kriegerischsten Frauenstamms der Geschichte. Die ersten echten Emanzen, furchtlos, grausam und in ihrer Gesellschaftsform sogar ganz ohne Männer auskommend, männergleich kämpfend. Aber hat es sie auch wirklich gegeben, oder sind sie nur der Dichtkunst der alten Griechen entsprungen? Konnte es verbriefte, körperliche Hinweise auf ihre Existenz geben? Als Fan von Archäologie-Geschichten war das genau mein Stichwort im Klappentext  …

Die geheimen Schwestern (Anne Fortier)

“Wie soll ich, ach, mein König und Herr, wie weinen um dich? In der Liebe zu dir wie sprechen? Da liegst du verstrickt in der Spinne Geweb, tot da, gottlos du erschlagen! Ach weh! Weh! So unwürdige Ruhe dir! Von der doppelscharfen Axt, du mit der Hand wie ein Knecht erschlagen!” (Quelle dieses Zitats: Aischylos, Agamemnon).

An diesem Tag im Oktober, an dem alles begann, stürmte Diana Morgan aufgebracht aus dem Hörsaal. Warum wurde eigentlich immer nur ihr die Redezeit beschnitten? Ihre Mentorin ging ihr gehörig auf die Nerven und sie hatte nicht übel Lust im Schnupperkurs des Fechtclubs gleich ein paar imaginäre Feinde nieder zu stechen. Auf dem Campus rannte sie fast hinein in den Fremden, der sich ihr entschuldigend als John Ludwig vorstellte und unumwunden eine Offerte machte. Sie glaubte sich verhört zu haben, als er eine Entdeckung andeutete, die eine Neuschreibung der Geschichte zur Folge haben würde und ihr ein Flugticket erster Klasse für den kommenden Tag in die Hand drückte. Was war das denn bitte für ein Spinner, an diesem Tag wäre sie wohl wirklich besser im Bett geblieben …

Lautlos waren die Schiffe durch den Nebel und über den Sand an Land geglitten. Kein Umgebungsgeräusch hatte den nächtlichen Angriff verraten, nichts hatte die Frauen im Tempel gewarnt. Keiner der Hunde hatte angeschlagen. Die Männer hasteten verborgen in den Schatten an Land. Hier wartete fette Beute und die Frauen? Na ja, die Besten würde man ja aussortieren können. Mit der hier, sie hatten ihre knabenhafte, schlanke Gestalt verlacht war wohl eher nichts anzufangen. Sie hatten sie in den Dreck gestoßen. Myriana hatte versucht in einem unbeobachteten Moment davon zukriechen. Sie war nicht weit gekommen, als sie einen heftigen Schmerz im Rücken gespürt und aus den Augenwinkeln gesehen hatte, wie der Mann einen Speer aus ihr herauszog …

Anne Fortier geboren in Dänemark, lehrte laut Klappentext in Amerika an verschiedenen Universitäten Philosophie und Europäische Geschichte und fühlt sich heute auf beiden Seiten des Atlantiks wohl und zu Hause. Durch ihren Roman “Julia” bin ich vor Jahren auf sie aufmerksam geworden. Für “Julia” hat sie Shakespeares Tragödie als Steilvorlage genutzt und die Geschichte des wohl berühmtesten Liebespaares gekonnt in einen neuen Kontext gerückt. Kurzweilig und unterhaltsam hatte ich diesen Roman in Erinnerung, auf der Spiegelbesten-Liste hatte dieser sich wochenlang eingenistet.

Für “Die geheimen Schwestern” diente ihr hier Homers “Ilias” als Vorlage und der Mythos der Amazonen. Auf zwei Zeitebenen erzählt uns Fortier dieses archäologische Abenteuer:

Zum Einen –  in der Gegenwart, mit der jungen Oxford-Dozentin für antike Geschichte Diana Morgan, die von Kindesbeinen an vom Mythos der Amazonen fasziniert ist. In Oxford nimmt man sie mit ihrem “Amazonen-Tick” nicht ernst, bis zu dem Tag, an dem ihr ein Fremder das Foto einer antiken Inschrift in die Hände spielt und sie für die Arbeit im Rahmen einer Stiftung anwirbt, die ihr nach neun Jahren Forschungsarbeit auf diesem Gebiet, für ein ansehnliches Monatsgehalt die Gelegenheit bietet die tatsächliche Existenz der Amazonen zu beweisen. Das ist der Köder für Diana und sie schluckt ihn – gemeinsam mit Nick Barran dem Ausgrabungsleiter steigt sie buchstäblich ab in die Tiefe auf der Suche nach dem legendären Schatz, den die Amazonen beim Fall von Troja hatten retten können …

Zum Anderen – in der Vergangenheit, mit der ersten Amazonen Königin Myriana und dem Schicksal ihres Gefolges, das untrennbar verwoben ist mit dem Trojanischen Krieg. Angereichert mit griechischer Mythologie und wunderbaren historischen Zitaten an den Kapitelanfängen.

Wie es sich für jede anständige Schatzsuche gehört, sucht man nicht allein – auch unsere Heldin im gegenwärtigen Handlungsstrang des Romans ruft zahlreiche Häscher auf den Plan und die Spurensuche wird so rasch zu einem Wettlauf durch halb Europa, der nichts Gutes verheißt …

Auch der historische Teil der Geschichte spitzt sich zusehens zu und mündet in der Schlacht um Troja. Liebe und Leidenschaft inklusive, dies sehr kitschfrei verpackt.

Süffig entführt dieser Roman in eine Epoche von der man  allzuoft liest, es sei denn man hat ein Faible für die griechischen Mythen und ist hier schon beschlagen. Für mich als geschichtliche “Normalo”-Leserin eine sehr willkommene, sehr unterhaltsame Abwechslung. In den Achtzigern habe ich im Stapel die Ägypten-Romane von Pauline Gedge verschlungen, an diese fühlte ich mich hier wohlig erinnert und zurück versetzt in die Anfänge meiner Lesebesessenheit. Ausgrabung eines Bücherschatzes gelungen ;-).

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